kurz-Geschichte
die Geschichte von Cannabis in kurz
Business Insider / Johann Hari August 2019
Macht also Cannabis Menschen verrückt?
Immer mehr Menschen auf der Welt fragen sich: Warum ist Cannabis verboten? Warum
müssen Menschen immer noch ins Gefängnis, weil sie es konsumieren oder
verkaufen?
Die meisten glauben, dass sich eines Tages jemand mit wissenschaftlichen
Beweisen
beschäftigt und herausgefunden hat, dass Cannabis schlimmer ist als andere
Drogen, die wir
dauernd benutzen — Alkohol und Zigaretten zum Beispiel.
Irgendjemand wird es wohl verstanden und geprüft haben.
Ich fing an, mich durch die offiziellen Archive zu wühlen — als Recherche für
mein
Buch Chasing The Scream: The First and Last Days of the War on Drugs. Ich wollte
herausfinden, warum Cannabis damals in den 1930ern verboten wurde. Ich stelle
fest:
Niemand hat es verstanden und geprüft.
Nicht mal annähernd.
1929 übernahm ein Mann namens Harry Anslinger das Ministerium für Prohibition in
Washington. Die Prohibition von Alkohol war ein Desaster. Verbrecher
kontrollierten ganze
Nachbarschaften. Alkohol— kontrolliert von Kriminellen — war auf einmal noch
viel giftiger
als vorher.
Also wurde die Alkohol-Prohibition endlich gestoppt – und Harry Anslinger hatte
Angst. Er
war plötzlich verantwortlich für ein riesiges Ministerium, das nichts zu tun
hatte. Bis dahin
hatte er immer gesagt, dass Cannabis kein Problem sei. Es schade den Menschen
nicht,
erklärte er und es gäbe keinen „absurderen Trugschluss“, als den, dass es
aggressiv mache.
Aber dann — als sein Ministerium einen neuen Sinn brauchte — erklärte er
plötzlich, dass er
seine Meinung geändert habe.
Er sagte der Öffentlichkeit, was angeblich passiert, wenn man Cannabis
raucht.
Erst falle man in eine „deliriumsartige Wut“. Dann werde man von „Träumen
erotischer Art“
gepackt. Dann verliere man die „Fähigkeit, Gedanken zu verknüpfen“. Am Ende
erreiche man
den unvermeidlichen Endzustand: „Wahnsinn“.
Marihuana verwandle einen Menschen in ein wildes Biest. Wenn Marihuana im
Treppenhaus
auf Frankensteins Monster treffen würde, warnte Anslinger, würde das Monster tot
umfallen
vor Angst.
Harry Anslinger war besonders von einem Fall besessen. In Florida hatte ein
Junge namens
Victor Lacata seine Familie mit einer Axt getötet. Anslinger verkündete: Das
passiert, wenn
ihr den „Dämon Gras“ raucht. Der Fall wurde berühmt. Eltern in den USA hatten
Panik.
Welche Beweise hatte Harry Anslinger? Es hat sich inzwischen herausgestellt,
dass er den 30
führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet schrieb und sie fragte, ob Cannabis
gefährlich
ist und es verboten werden sollte.
29 schrieben zurück und sagten nein.
Anslinger suchte sich den einen Wissenschaftler heraus, der ja sagte und
präsentierte ihn der
Welt. Die Presse —besessen von Victor Lacatas Axt —bejubelte ihn.
Panik machte sich im Land breit und Marihuana wurde verboten. Die USA sagten
anderen
Ländern, dass sie das Gleiche tun sollten. Einige Länder fanden diese Idee dumm
und
verweigerten sich einem Verbot.
Mexiko zum Beispiel beschloss, dass seine Drogenpolitik von Ärzten entschieden
werden
sollte. Ihre medizinische Einschätzung war, dass Cannabis nicht schädlich sei
und sie lehnten
ein Verbot ab.
Die USA waren wütend. Anslinger befahl Mexiko, sich zu fügen. Doch das Land
blieb
standhaft —bis die USA am Ende die Belieferung mit allen legalen Schmerzmitteln
nach
Mexiko unterband.
Menschen starben unter Qualen in den Krankenhäusern. Also feuerte Mexiko die
Ärzte —
und startete einen Drogenkrieg.
In den USA kamen Fragen auf. Der renommierte Arzt Michael Ball schrieb Harry
Anslinger.
Er erklärte, dass er Cannabis als Medizinstudent benutzt hatte und es habe ihn
nur müde
gemacht. Vielleicht mache Cannabis bestimmte Menschen verrückt, schrieb er —
aber wir
müssen wissenschaftliche Studien finanzieren, um das herauszufinden.
Anslinger schrieb entschieden zurück. „Das Übel Marihuana kann nicht länger
geduldet
werden“, schrieb er. Er werde keine unabhängige Wissenschaft fördern. Damals
nicht und
später auch nicht.
Jahrelang konfrontierten ihn Ärzte mit Beweisen, dass er falsch lag. Er fauchte
zurück, dass
sie sich „auf gefährliches Gebiet“ begäben und aufpassen sollten, was sie sagen.
Heute lebt ein Großteil der Welt noch immer mit dem Verbot, dass Harry Anslinger
in der
landesweiten Panik nach Victor Lacatas Blutbad eingeführt hatte.
Aber es gibt sogar an diesem einen Fall einen Haken. Jahre später schaute sich
jemand die
psychiatrischen Akten von Victor Lacata an.
Es stellte sich heraus, dass es nie Beweise dafür gab, dass er jemals Cannabis
genommen
hatte.
In seiner Familie gab es viele psychische Krankheiten. Ein Jahr vor dem Vorfall
wurden die
Eltern darauf hingewiesen, dass er in eine Anstalt gehörte — aber sie weigerten
sich. Seine
Psychiater erwähnten in Verbindung mit ihm niemals Marihuana.
Macht also Cannabis Menschen verrückt?
Der frühere Chefberater für Drogenpolitik der britischen Regierung,
David
Nutt, erklärt: Wenn Cannabis in direktem Zusammenhang mit Psychosen
stünde, würde sich das auch direkt zeigen.
Wenn mehr Cannabis konsumiert wird, müsste auch die Zahl der Psychosen steigen.
Und
wenn weniger Cannabis konsumiert wird, müsste die Zahl der Psychosen
sinken.
Passiert das? Wir haben viele Daten aus vielen Ländern. Und es zeigt sich, dass
dem nicht so
ist. In Großbritannien zum Beispiel ist der Cannabis-Konsum seit den 1960ern um
den
Faktor 40 gestiegen. Und die Psychose-Raten? Sie blieben gleich.
Tatsächlich deuten wissenschaftliche Studien darauf hin, dass Cannabis sicherer
ist als
Alkohol. Alkohol tötet in den USA jedes Jahr 40.000 Menschen. Cannabis tötet
niemanden —obwohl der Country-Sänger Willie Nelson sagte, dass einer seiner
Freunde
gestorben ist, weil ihm ein Ballen Cannabis auf den Kopf gefallen
ist.
Deshalb forderte ein junger Mann aus Colorado namens Mason Tvert 2006 den
damaligen
Bürgermeister von Denver und späteren Gouverneur John Hickenlooper
heraus. Hickenlooper besaß in einigen Staaten Bars, die ihn reicht gemacht
hatten.
Aber er sagte, dass Cannabis schädlich sei und verboten bleiben müsse. Also
forderte Mason
ihn zu einem Duell heraus. Der Bürgermeister sollte eine Kiste Alkohol
mitbringen. Mason
wollte eine Packung Joints mitbringen. Für jeden Schluck Alkohol, den der
Bürgermeister
trinkt, nimmt er einen Zug von einem Joint. Mal sehen, wer zuerst
stirbt.
Mason führte später die Kampagne zur Legalisierung von Cannabis in seinem
Bundesstaat
an. Seine Mitbürger stimmten dafür — mit einer Mehrheit von 55 Prozent. Jetzt
dürfen dort
Erwachsene in lizensierten Läden Cannabis kaufen.
Es wird besteuert und mit den Einnahmen werden Schulen gebaut. Nach eineinhalb
Jahren
stieg die Unterstützung der Legalisierung auf 69 Prozent. Und sogar Gouverneur
Hickenlooper bezeichnet sie inzwischen als „vernünftig“.
Oh —und Colorado wurde nicht von Menschen überrannt, die ihre Familien mit Äxten
töten.
Ist es nicht Zeit, auf die Wissenschaft zu hören —und Victor Lakatas
Kriegsbeil
endlich zu
begraben?
Harry Jacob Anslinger, der Verbotsguru
„Sicherlich ist Marihuana eher harmlos. Aber die Sache war ein Beispiel dafür, dass ein Verbot die Autorität des Staates stärkt.“. „Man muss nur eine Sache als Problem bezeichnen und sich anbieten, es zu lösen, dann ist man auch kompetent“. „Wenn sich ein Gesetz nicht gleich durchsetzen lässt, muss man mit noch härteren Strafen an die Sache rangehen“